Bluffen by Stefan Adrian

Bluffen by Stefan Adrian

Autor:Stefan Adrian
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Berlin, Nullerjahre, Nachtleben, Roman, Stefan Adrian, Hochstapler, Dotcomblase, Nine Eleven, Hype, Affären, Sex, Street Art, Hedonismus, Prekariat, Boheme, urbane Penner, Berghain, Club, Österreicher, WG, Touristen, Zugezogen, DJ, Scheitern, Doppelleben, Hauptstadt, Nightlife
ISBN: 978-3-944543-17-8
Herausgeber: mikrotext
veröffentlicht: 2014-09-29T04:00:00+00:00


18

Ein warmer Frühlingstag, früher Abend, laue Luft, Aufbruchstimmung, von Winter erlöste Menschen, einer dieser Tage, die sich regelmäßig wie ein Versprechen auf einen schönen Sommer anfühlten, auch wenn dieses mit schöner Regelmäßigkeit nicht eingehalten wurde. Ich war nun drei Jahre in der Stadt und betrachtete den Abend ebenfalls wie ein Versprechen, ein Versprechen, dass ich mich nicht in einer Illusion verirrt hatte, sondern auf diese besondere Art bestätigt bekam, dass man an einer Sache festhalten sollte und sich Beharrlichkeit lohnte, oder vielmehr, dass man Beharrlichkeit erst für eine Sache aufbringen konnte, wenn sie wirklich wichtig war. Ich saß auf den flachen Treppen vor der Neuen Nationalgalerie, um die sich eine Menschenschlange fädelte. Ich rauchte und betrachtete die Silhouette des Potsdamer Platzes, das geschwungene Dach des Sony-Centers mit der schalenförmigen Öffnung, das aussah wie eine Strahlenkanone, die in den Orbit gerichtet war, oder wie einer der Aliens aus Starship Troopers, die Feuerkugeln aus ihrem Arsch in den Weltraum schossen.

Daneben befand sich der Kollhoff-Tower, in dem sich der schnellste Personenaufzug Europas befand, der 8,6 Meter in der Sekunde zurück legte, und ich dachte daran, wie ich vor kurzem mit Jon, der einmal im Jahr für einige Tage zu Besuch kam, hinaufgefahren war. Wir hatten nichts von der Geschwindigkeit des Lifts gespürt und waren nach wenigen Sekunden auf der ersten der beiden Aussichtsplattformen angekommen, begleitet von einer etwas übertriebenen Förmlichkeit des Liftboys, der uns behandelt hatte, als wären wir Staatspräsidenten auf dem Weg in ihre Suite. Niemand aus dem angrenzenden Gebäude der Deutschen Bahn und den anderen Büros hatte uns beachtet, und ich hatte gedacht, dass sich Städte aus dieser Perspektive im Wesentlichen nicht voneinander unterschieden. Ob man vom Pariser Eiffelturm oder von einem Hochhaus in Tokio blickte, von oben sahen sie alle aus, als wären sie komplett, als fänden sie eine eigene Form von Schlüssigkeit, die sich den konfusen Menschen, die in ihnen herumgeisterten, entgegenstellte.

Es gab für mich ansonsten selten einen Anreiz, den Potsdamer Platz zu besuchen. Der ganze Ort war weder futuristisch noch auf eine spezielle Art und Weise verschroben oder visionär, so dass spätere Generationen behaupten würde können, hier wäre ein Entwurf zu früh zu Unrecht verurteilt worden, bevor sein wahrer Wert erkannt worden war. Die Objekte mit Charakter waren immer noch die Neue Nationalgalerie, die Staatsbibliothek und die Philharmonie mit ihrer trotzigen Schlichtheit, alles, was hier nach den 60er und 70er Jahren erbaut worden war, zeugte von Eile anstatt von Eleganz, es waren Beispiele für die optischen Reinfälle der Nachwende-Hast. Trotzdem gab mir dieser Ort ein Gefühl von Weite und Größe, wie ich es mochte, wenn ich mich nicht unmittelbar darin befand, sondern mit einem kleinen Abstand darauf blickte, so wie es mir manchmal auf der Frankfurter Allee ging, wenn ich sie an einem Spätsommerabend stadteinwärts fuhr und zwischen den beiden Türmen am Frankfurter Tor die Sonne so tief hing, dass ich meinte, sie wäre ein goldenes Spiegelbild des Fernsehturms, der zwischen ihnen aufragte, und während ich auf dieses Bild zufuhr, sich alles, wofür ich diese Stadt verdammen konnte, in eine riesige Loyalität auflöste, die immer stärker sein würde als alles andere.



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